Imperium by Christian Kracht
Autor:Christian Kracht
Die sprache: de
Format: mobi
veröffentlicht: 2012-02-15T23:00:00+00:00
VIII
Nur einmal noch hatte Engelhardt den Bismarckarchipel verlassen, bevor alles sozusagen den Bach hinunterging. Er war zu der Ãberlegung gekommen, seine Schulden nicht mehr zu bezahlen, da er ja irgendwann damit beginnen müsse, das komplexe, schädliche Gefüge des Kapitalsystems abzulehnen. Ein Brieffreund aus Heidelberg, der an der berühmten Universität die mehr als trübe Existenz eines vollends verarmten Privatgelehrten führte, teilte ihm mit, es gäbe ganz in Engelhardts Nähe einen jungen Deutschen, der eine ähnliche - zumindest geistesverwandte - Gedankenwelt in die Realität zu übertragen sich angeschickt habe, jemand, der, ebenfalls auf einer Pazifikinsel wohnend, die Anorexia Mirabilis beispielsweise einer Seligen Columba von Rieti nachlebend, an Nahrung nichts, rein gar nichts zu sich nehme auÃer dem goldenen Licht der Sonne. Die fragliche Person lebe auf den Fidschi-Inseln, das sei doch wohl nur ein Katzensprung entfernt, und Engelhardt möge doch einmal dort zu Besuche antreten.
Nun ja, hochinteressant, dachte Engelhardt, legte den Brief zur Seite und schlug einen etwas veralteten, aber durchaus noch brauchbaren Atlas auf: Fidschi lag so weit entfernt vom Schutzgebiet wie Australien, allerdings nicht in südlicher, sondern in östlicher Richtung, man würde wohl über die Neuen Hebriden reisen können. Sein Finger kreuzte auf der blau eingefärbten Ausdehnung des Stillen Ozeans die Strecke ab, unversehens schob er den rechten Daumen in den Mund und lutschte daran. Diese Marotte war ihm als Kind unter schweren Prügeln ausgetrieben worden, und er hatte sie, Herkos Odonton, für sich selbst wiederentdeckt, als probates Hilfsmittel einer nur ihm bekannten Meditationstechnik. In einem Hohlraum des Selbst versinkend, erlaubte ihm das Saugen am Daumen, die Umwelt beinahe lückenlos auszublenden, ja, sich derart in sich selbst zurückzuziehen, daà jegliche an den Gestaden seines BewuÃtseins anbrandende Irritation von ihm abgehalten wurde wie eine gefräÃige Motte durch ein besonders fein gewebtes Mückennetz.
Also zog er einen Wickelrock an, füllte einen Sack mit Kokosnüssen, fuhr nach Herbertshöhe hinüber und erkundigte sich nach dem Eintreffen des französischen Postschiffes Richtung Port Vila, das zufällig, als sei seine Reise tatsächlich Teil eines kosmischen Planes, am nächsten Tag Neupommern erreichen sollte (die Messageries Maritimes verkehrte auf dieser Strecke nur genau zweimal im Jahr). Er borgte sich vom ihm stets wohlgesonnenen Postbeamten das Geld für das billigste Billett und schiffte sich anderntags barfuà auf der Gerard de Nerval ein, seine Kokosfasermatte am Achterdeck entrollend, ganz nach Art der Eingeborenen, die verschämt und fast unsichtbar eine Reise an Bord der groÃen Schiffe der WeiÃen zu unternehmen hatten. Die Absicht, sich heimlich auf die Gerard de Nerval zu schleichen, um kein unreines Geld mehr anfassen zu müssen, hatte er rasch verworfen.
Die wenigen Franzosen, die ihn nicht vollends ignorierten, hielten ihn für einen dem Primitivismus frönenden Kunstmaler, eine deutsche Version ihres Gauguins, ergo für eine durchweg lächerliche Figur, die jedoch - und hier zeigte sich, daà der gallische petit bourgeois eine gröÃere Toleranz an den Tag zu legen vermochte als sein von der anderen Seite des Rheines stammendes, dunkel-teutonisches Gegenüber - durchaus ihre Existenzberechtigung habe, und sei es nur, um den verkrusteten Bürger (also sich selbst) bestätigt zu sehen. Der Franzose per se fühlte ganz instinktiv mit den Figuren am Rande der Gesellschaft.
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